14 Nisan 1998

Islamisten nutzen Deutschland als Schaltzentrale

Stuttgarter Nachrichten, 14.04.1998

Kirche und Staat häufig zu blauäugig gegenüber islamischen Organisationen / Von Ahmet Arpad

Stuttgart - Nach den Erkenntnissen der deutschen Verfassungsschutzbehörden gab es 1997 22 extremistische islamische Gruppierungen. Dreizehn davon werden beobachtet.


Die Gemeinschaften und Vereine der islamisch-fundamentalistischen Sekten, Orden und Bruderschaften - vier Prozent der 2,2 Millionen türkischen Moslems sind in ihnen organisiert - stellen allerdings eine verschwindend kleine Minderheit dar und sind daher für Muslime in Deutschland nicht repräsentativ. Türkische islamisch-fundamentalistische Organisationen haben sich seit Mitte der 70er Jahre in Deutschland etabliert. Sie nutzen die Religionsfreiheit im deutschen Grundgesetz nicht nur für islampolitische Machtinteressen in der Türkei aus, sondern auch, um den Islam ihrer Vorstellung in Deutschland zu verwirklichen.

Die meisten der in Deutschland operierenden islamisch-fundamentalistischen Organisationen geben sich nach außen liberal, betreiben aber nach innen Indoktrination. In ihren deutschen Verlautbarungen betonen sie stets Integrationswillen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den staatlichen Instanzen, doch in ihren türkischsprachigen Publikationen beziehen sie islamisch-fundamentalistische Positionen. Seit einigen Jahren bereits bemühen sich verschiedene islamische Gemeinschaften um Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts. Im Fall der Anerkennung des Islam als Religion in Deutschland darf die stärkste Organisation von der über zwei Millionen Mitglieder zählenden türkischen islamischen Gemeinde eine Art Kirchensteuer einziehen. Um an diesen Riesenkuchen in der Größenordnung von rund 540 Millionen Mark pro Jahr heranzukommen, hat die vom Verfassungsschutz als „fundamentalistisch“ und „antisemitisch“ eingestufte Milli Görüs (IGMG) mit den Gemeinden der Nurcu-Sekte unter dem Namen „Islamrat“ - im Wappen der Reichsadler - eine neuartige juristische Person ins Leben gerufen. In diesem Dachverband sind 33 islamische Vereine vertreten. 18 davon stehen der Milli Görüs nahe. Viele Kirchen und Behörden sehen in dieser Organisation einen wichtigen Gesprächspartner. Milli Görüs hat auch Einfluß im „Zentralrat der Muslime in Deutschland“. Im Kuratorium des Islamrats sitzt unter anderem auch der Leiter der Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Ignatz Bubis. Gleichzeitig forderte der türkische Islamistenführer Erbakan auf einer Veranstaltung der Milli Görüs in Berlin folgendes: „Es muß mit aller Macht verhindert werden, daß sich der Zionismus wie ein Krebsgeschwür ausbreitet.“ Dazu zitierte er Passagen aus „Mein Kampf“.

Dem jüngsten Verfassungsschutzbericht zufolge will beispielweise Milli Görüs flächendeckend 300 Koranschulen in Deutschland aufbauen. „Hier werden Kinder gegen die westliche Demokratie eingeschworen“, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Deutschland werde damit zum europaweiten Schwerpunkt der islamischen Extremisten.

Viele islamische Gemeinschaften in Deutschland werden mittlerweile wie Wirtschaftsunternehmen geführt: Für sie ist Religion Mittel zum Zweck geworden. Diese Tendenz stellt man auch in der Türkei fest. Mit dem Stärkerwerden der Islamisten stieg auch die Zahl der von diesen gegründeten Firmen. Die meisten von ihnen gehören inzwischen zu den Etablierten in der türkischen Wirtschaft, und mit dem größten Teil ihrer Gewinne finanzieren sie wiederum die Arbeit der Islamisten. Dem türkischen Generalstab zufolge wird der islamische Fundamentalismus von den religiös-extremistischen Firmen mit rund 15 Milliarden Dollar jährlich finanziert. Milli Görüs ist heute ein Wirtschaftsunternehmen mit 20 Firmen. Selbst die Immobilien-Abteilung ist ein Imperium.

Bis vor einigen Jahren gehörte auch die Scientology zu ihren Geschäftspartnern. Ein in Deutschland lebender türkischer Journalist, der sich in der Branche gut auskennt, nennt sie: „Abzocker im religiösen Gewand“. Die Bosse sind meist Kinder der ersten Generation und haben längst den deutschen Paß in der Tasche. Nachwuchsprobleme kennen die Firmen der islamisch-fundamentalistischen Gemeinschaften nicht. Sehr schlechte berufliche Perspektiven führen die türkischen Jugendlichen fast zwangsläufig zu den Fundamentalisten. Hier bekommen sie nicht nur Arbeit, sondern auch Selbstwertgefühl vermittelt. Und die Väter und Großväter dieser vierten Generation trifft man selbstverständlich in der Moschee der zur Firma gehörenden Sekte. Immer öfter tauschen die leitenden Herren der Sekten ihr religiöses Gewand mit dem Zweireiher, stecken ihre Finger in viele Bereiche des öffentlichen Lebens, investieren Unsummen, von der Koranschule bis zur Privatuni, von Export- Import bis zu Fernsehanstalten und Zeitungen.

Durch die Unterwanderung des Bildungssystems wollen sie die jungen Generationen an sich binden. Dies ist eine der größten Gefahren, die von ihnen ausgeht. Fetullah Gülen, pensionierter Imam aus Izmir ist Führer der zur Nurculuk-Sekte gehörenden Bewegung Fetullahcis und hat sich zum „Reformator“ des Islam stilisiert. Die Fetullahcis konzentrieren sich vor allem aufs Bildungswesen. Ihre Universitäten, Hochschulen und sogenannten Bildungszentren stehen überall, von Stuttgart bis nach Usbekistan. In Deutschland soll es inzwischen 70 solcher Schulen geben. Presseberichten zufolge planen sie auch eine Großmoschee auf dem Gelände von Stuttgart 21.Die Verbindungen wohlhabender islamischer Gruppen in Deutschland erstrecken sich von Frankreich bis Alma Ata, von Washington über Libyen bis Kuwait. Die meisten Gelder fließen in die Türkei. Kräfte für hohe Posten in der Türkei werden in Deutschland ausgebildet. Auch von der türkischen Staatsanwaltschaft gesuchte islamistische Extremisten finden hier Unterschlupf.

Die Türkisch Islamische Union (DITIB) ist die Organisation der staatlichen „Anstalt für religiöse Angelegenheiten“ in Deutschland. Die meisten der hier lebenden Türken besuchen die DITIB-Moscheen. Diese Organisation aber wird von den deutschen Behörden und Kirchen stets übergangen und ignoriert. Die Deutsche Bischofskonferenz behauptet zwar, „seit dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) ist der Dialog mit Menschen anderer Religionen ein Anliegen der Kirche, um das friedliche Zusammenleben aller Menschen zu fördern“. Doch die Praxis sieht anders aus. Politiker wie Kirchenobere ziehen mit islamistisch-fundamentalistischen Gemeinschaften an einem Strang. Obwohl vom Verfassungsschutz mehrmals darauf hingewiesen, werden fast ausschließlich diese von den Kirchen in den Dialog einbezogen. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat Kontakte zu einer islamischen Gemeinschaft, die zur Nurcu-Sekte gehört und ein Gegner der bestehenden Staatsordnung in der Türkei ist.

Diese Politik könnte zu einer Polarisierung innerhalb der 2,2 Millionen Türken in Deutschland beitragen. Und das in einer Zeit, in der das deutsch-türkische Zusammenleben durch die hohe Arbeitslosigkeit ohnehin vor einer schweren Zerreißprobe steht. Schon deshalb sollten Politiker und Kirchen ihre Islam-Politik neu überdenken.
 

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