20 Mayıs 1998

Wie islamistische Sekten in Deutschland agitieren

Stuttgarter Nachrichten, 20.05.1998

Radikale Moslems unterlaufen mit Propaganda die Integration ihre Landsleute / Von Ahmet Arpad

Stuttgart - Der jüngste Verfassungsschutzbericht des baden-württembergischen Innenministeriums zeigt, daß die türkisch-islamistischen Vereinigungen über die größte Anhängerschaft unter den ausländischen Extremisten verfügen.


Der Verfassungsschutz registriert in Deutschland etwa 40000 islamisch-extremistische Türken, die in Organisationen arbeiten. Sie bekämpfen die türkische Staatsform und Gesellschaftsordnung. Ihr Ziel ist ein theokratischer Staat in der Türkei. Einerseits versuchen sie sich bei der deutschen Bevölkerung als unpolitische Vertreter des Islam zu präsentieren, andererseits verhindern sie durch aggressive Propaganda und Indoktrination die Integration der Türken in der hiesigen Gesellschaft.

Said Nursi (1873-1960), der Gründer der Nurcu-Sekte, vertrat die Auffassung, daß der Niedergang der Türkei nur durch die vom Islam geprägte Identität aufgehalten werden könne. Die Haltung der Nurcus gegen die europäisch orientierten Reformen des Staatsgründers Atatürk belegt das. Nursi plädierte für eine islamische Staatengemeinschaft mit der Hauptstadt Mekka.

Der selbsternannte neue Führer der Nurcus, Fetullah Gülen, möchte als sein Nachfolger und Erbe gesehen werden. Vor kurzem präsentierte der türkische Geheimdienst Beweise, daß Gülen auf einen Gottesstaat in der Türkei und eine islamische Revolution nach iranischem Muster hinarbeitet. Das Gesamtvolumen der von den Fetullahcis getätigten Auslandsinvestitionen bei etwa 2,5 Milliarden Mark. Laut Informationen staatlicher Quellen in Ankara ist die Stuttgarter Religionsgemeinschaft des Islam eine Filiale der Fetullahcis.

Der Fetullah Hoca, der Wanderprediger der 60er und 70er Jahre, von dem die Bemerkung „Die staatlichen Lehrer sind Teufelsknechte!“ stammt, hat auch in Deutschland etliche sogenannte Bildungszentren errichtet. Hier wird außer modernen Wissenschaften vor allem der Islam nach seinen Vorstellungen und der Koran nach seiner Interpretation unterrichtet. Das Fetullah-Imperium, das angeblich nur von privaten Sponsoren getragen wird, hat es sich zum Ziel gemacht, duch die Unterwanderung des Bildungssystems in den islamischen Ländern die jungen Generationen an sich zu binden. Dieses Vorhaben wird präzise und systematisch durchgeführt.

Außer den 103 Bildungszentren, 460 Lernstudios, 560 Studentenwohnheimen und zahlreichen Privatunis in 50 Ländern gehören inzwischen auch Fernsehanstalten, Zeitungen, Magazine und unzählige Stiftungen und Vereine zum Imperium von Gülen. Viele türkisch-islamische Gemeinschaften in Deutschland haben schon lange Kontakte zu deutschen Gemeinden und Kirchenoberen hergestellt. Trotz aller Warnungen haben die meisten Landeskirchen inzwischen sogar Islam-Beauftragte, die für die Zusammenarbeit mit islamischen Gruppierungen zuständig sind. Bei gemeinsamen Veranstaltungen wird ihnen so ein Forum für Selbstdarstellung geboten.

Mancherorts werden ihre selbsternannten islamischen Führer - die meisten sind längst deutsche Staatsbürger - von Behörden und Kirchen als Vertreter des Islam angesehen. Diese Fundamentalisten interpretieren die Lehre Mohammeds, den Koran, nach ihren Vorstellungen. Sie verstehen sich als Vermittler zwischen den Gläubigen und Allah. Der Islam kennt aber weder Vermittler noch Vertreter und es gibt weder Päpste noch Mönchtum.

Die größten Religionssekten gründen ihre Ideologie auf die Lehre der Naksibendis, die von Scheich Mohammed Bahaüddin Naksibend aus Buhara (14.Jahrhundert) aufgebaut wurde. Der für Deutschland zuständige Naksibendi Scheich Nazim, der gleichzeitig auf Zypern zu den Gründungsmitgliedern einer Partei mit stark islamisch-fundamentalistischen Tendenzen gehört, prophezeite vor einiger Zeit: „Deutschland wird zum Islam bekehrt, denn die Beschaffenheit der Deutschen ist sehr geeignet für den Islam.“ Die Naksibendis gelten als stark antichristlich und widmen den türkischen Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit, von denen ein großer Teil nach Meinung eines führenden Mitgliedes der Organisation angeblich „Gefahr läuft, dem Atheismus zu verfallen“.

Wie die Nurcus stellt auch die vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestufte islamische Gemeinschaft Milli-Görüs im Verhältnis zu den hier lebenden türkischen Muslimen eine verschwindende Minderheit dar. Auch Milli-Görüs ist schon lange zu einem Wirtschaftsimperium gewachsen. Beide Organisationen bilden zusammen den „Islamrat“ und möchten vom deutschen Staat als Vertreter des Islam anerkannt werden. Führungskräfte sind längst Deutsche türkischer Abstammung. Die meisten haben kopftuchtragende deutsche Frauen verheiratet. Das große Kopftuch, das die Fundamentalisten etwa Mitte der 80er Jahre aus dem Iran übernommen haben, hat vor allem Symbolcharakter. Mit der Bindeart ihres Kopftuches will die Frau den Gleichgesinnten zeigen, zu welcher Religionssekte sie gehört.

Der Weltislam hat den Wandlungsprozeß noch vor sich. Eine Aufklärung, wie sie Europa im 17. und 18. Jahrhundert durchlebt hat, gab es im Islam nicht. Arabiens „Wüsten-Islam“ oder der Islam der Mullahs hat in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts jedoch keine Chance. Der vom laizistisch orientierten anatolischen Menschen seit Jahrzehnten erlebte moderne Islam kann dagegen in der Zivilisation existieren. Er ist mit westlichem, laizistischem Demokratieverständnis gut vereinbar.

Mit seinen Reformen hat Atatürk der Türkei den Weg in die westliche Industriewelt endgültig geebnet und eine laizistische Religionsausübung geschaffen. Er wollte gleichzeitig verhindern, daß die vielen Sekten mit ihrer rückständigen Religionsauslegung die junge Republik gefährden und die Religion für ihre Machtausübung mißbrauchen. Heute, 60 Jahre nach ihm, versuchen viele, in der Türkei wie im Ausland, diesen Prozeß wieder rückgängig zu machen, statt sich an ihm zu orientieren.

Schon die überwiegend antijüdische Agitation mancher islamischen Gruppierungen ist mit dem Gedanken der Völkererständigung unvereinbar. Man sollte auch vor der Tatsache nicht die Augen schließen, daß die derzeitige Islam-Politik gewisser Stellen und Kirchen langsam, aber sicher zu einer Polarisierung innerhalb Deutschlands lebenden Türken beitragen könnte. Nicht vorstellbar, was für Schäden der Innere Friede durch einen „Religionsseparatismus“ unter den hier lebenden 2,2 Millionen Türken langfristig bekommen würde.

Auch fast vier Jahrzehnte nachdem die ersten Gastarbeiter aus Anatolien ins Land geholt wurden, wissen Deutsche wie Türken viel zu wenig voneinander. Daher wäre ein Dialog mit den türkischen Mitbürgern nötiger denn je.

Was ist der eigentliche Grund für den Dialog und für die Zusammenarbeit der Kirchen und Gemeinden mit den sogenannten Islamisten? Gibt es vielleicht gemeinsame Interessen? Sind sie politischen, gesellschaftlichen oder gar wirtschaftlichen Charakters? Geht es den vielen islamischen Sekten und ihren Gemeinschaften nur um Religion? Ihre Vernetzung im Inland wie im Ausland ist groß. Wirtschaftsimperien haben sie sich gebaut, auch Kontakte zu den amerikanischen Religionssekten Scientolgy und Moon hergestellt. Welche Rolle spielen dabei die hier ansässigen fundamentalistischen Religionsgemeinschaften und ihre Organisationen? Vernünftige Antworten findet man keine. Das Thema ist sehr heikel ...

14 Nisan 1998

Islamisten nutzen Deutschland als Schaltzentrale

Stuttgarter Nachrichten, 14.04.1998

Kirche und Staat häufig zu blauäugig gegenüber islamischen Organisationen / Von Ahmet Arpad

Stuttgart - Nach den Erkenntnissen der deutschen Verfassungsschutzbehörden gab es 1997 22 extremistische islamische Gruppierungen. Dreizehn davon werden beobachtet.


Die Gemeinschaften und Vereine der islamisch-fundamentalistischen Sekten, Orden und Bruderschaften - vier Prozent der 2,2 Millionen türkischen Moslems sind in ihnen organisiert - stellen allerdings eine verschwindend kleine Minderheit dar und sind daher für Muslime in Deutschland nicht repräsentativ. Türkische islamisch-fundamentalistische Organisationen haben sich seit Mitte der 70er Jahre in Deutschland etabliert. Sie nutzen die Religionsfreiheit im deutschen Grundgesetz nicht nur für islampolitische Machtinteressen in der Türkei aus, sondern auch, um den Islam ihrer Vorstellung in Deutschland zu verwirklichen.

Die meisten der in Deutschland operierenden islamisch-fundamentalistischen Organisationen geben sich nach außen liberal, betreiben aber nach innen Indoktrination. In ihren deutschen Verlautbarungen betonen sie stets Integrationswillen und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den staatlichen Instanzen, doch in ihren türkischsprachigen Publikationen beziehen sie islamisch-fundamentalistische Positionen. Seit einigen Jahren bereits bemühen sich verschiedene islamische Gemeinschaften um Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts. Im Fall der Anerkennung des Islam als Religion in Deutschland darf die stärkste Organisation von der über zwei Millionen Mitglieder zählenden türkischen islamischen Gemeinde eine Art Kirchensteuer einziehen. Um an diesen Riesenkuchen in der Größenordnung von rund 540 Millionen Mark pro Jahr heranzukommen, hat die vom Verfassungsschutz als „fundamentalistisch“ und „antisemitisch“ eingestufte Milli Görüs (IGMG) mit den Gemeinden der Nurcu-Sekte unter dem Namen „Islamrat“ - im Wappen der Reichsadler - eine neuartige juristische Person ins Leben gerufen. In diesem Dachverband sind 33 islamische Vereine vertreten. 18 davon stehen der Milli Görüs nahe. Viele Kirchen und Behörden sehen in dieser Organisation einen wichtigen Gesprächspartner. Milli Görüs hat auch Einfluß im „Zentralrat der Muslime in Deutschland“. Im Kuratorium des Islamrats sitzt unter anderem auch der Leiter der Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Ignatz Bubis. Gleichzeitig forderte der türkische Islamistenführer Erbakan auf einer Veranstaltung der Milli Görüs in Berlin folgendes: „Es muß mit aller Macht verhindert werden, daß sich der Zionismus wie ein Krebsgeschwür ausbreitet.“ Dazu zitierte er Passagen aus „Mein Kampf“.

Dem jüngsten Verfassungsschutzbericht zufolge will beispielweise Milli Görüs flächendeckend 300 Koranschulen in Deutschland aufbauen. „Hier werden Kinder gegen die westliche Demokratie eingeschworen“, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Deutschland werde damit zum europaweiten Schwerpunkt der islamischen Extremisten.

Viele islamische Gemeinschaften in Deutschland werden mittlerweile wie Wirtschaftsunternehmen geführt: Für sie ist Religion Mittel zum Zweck geworden. Diese Tendenz stellt man auch in der Türkei fest. Mit dem Stärkerwerden der Islamisten stieg auch die Zahl der von diesen gegründeten Firmen. Die meisten von ihnen gehören inzwischen zu den Etablierten in der türkischen Wirtschaft, und mit dem größten Teil ihrer Gewinne finanzieren sie wiederum die Arbeit der Islamisten. Dem türkischen Generalstab zufolge wird der islamische Fundamentalismus von den religiös-extremistischen Firmen mit rund 15 Milliarden Dollar jährlich finanziert. Milli Görüs ist heute ein Wirtschaftsunternehmen mit 20 Firmen. Selbst die Immobilien-Abteilung ist ein Imperium.

Bis vor einigen Jahren gehörte auch die Scientology zu ihren Geschäftspartnern. Ein in Deutschland lebender türkischer Journalist, der sich in der Branche gut auskennt, nennt sie: „Abzocker im religiösen Gewand“. Die Bosse sind meist Kinder der ersten Generation und haben längst den deutschen Paß in der Tasche. Nachwuchsprobleme kennen die Firmen der islamisch-fundamentalistischen Gemeinschaften nicht. Sehr schlechte berufliche Perspektiven führen die türkischen Jugendlichen fast zwangsläufig zu den Fundamentalisten. Hier bekommen sie nicht nur Arbeit, sondern auch Selbstwertgefühl vermittelt. Und die Väter und Großväter dieser vierten Generation trifft man selbstverständlich in der Moschee der zur Firma gehörenden Sekte. Immer öfter tauschen die leitenden Herren der Sekten ihr religiöses Gewand mit dem Zweireiher, stecken ihre Finger in viele Bereiche des öffentlichen Lebens, investieren Unsummen, von der Koranschule bis zur Privatuni, von Export- Import bis zu Fernsehanstalten und Zeitungen.

Durch die Unterwanderung des Bildungssystems wollen sie die jungen Generationen an sich binden. Dies ist eine der größten Gefahren, die von ihnen ausgeht. Fetullah Gülen, pensionierter Imam aus Izmir ist Führer der zur Nurculuk-Sekte gehörenden Bewegung Fetullahcis und hat sich zum „Reformator“ des Islam stilisiert. Die Fetullahcis konzentrieren sich vor allem aufs Bildungswesen. Ihre Universitäten, Hochschulen und sogenannten Bildungszentren stehen überall, von Stuttgart bis nach Usbekistan. In Deutschland soll es inzwischen 70 solcher Schulen geben. Presseberichten zufolge planen sie auch eine Großmoschee auf dem Gelände von Stuttgart 21.Die Verbindungen wohlhabender islamischer Gruppen in Deutschland erstrecken sich von Frankreich bis Alma Ata, von Washington über Libyen bis Kuwait. Die meisten Gelder fließen in die Türkei. Kräfte für hohe Posten in der Türkei werden in Deutschland ausgebildet. Auch von der türkischen Staatsanwaltschaft gesuchte islamistische Extremisten finden hier Unterschlupf.

Die Türkisch Islamische Union (DITIB) ist die Organisation der staatlichen „Anstalt für religiöse Angelegenheiten“ in Deutschland. Die meisten der hier lebenden Türken besuchen die DITIB-Moscheen. Diese Organisation aber wird von den deutschen Behörden und Kirchen stets übergangen und ignoriert. Die Deutsche Bischofskonferenz behauptet zwar, „seit dem zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) ist der Dialog mit Menschen anderer Religionen ein Anliegen der Kirche, um das friedliche Zusammenleben aller Menschen zu fördern“. Doch die Praxis sieht anders aus. Politiker wie Kirchenobere ziehen mit islamistisch-fundamentalistischen Gemeinschaften an einem Strang. Obwohl vom Verfassungsschutz mehrmals darauf hingewiesen, werden fast ausschließlich diese von den Kirchen in den Dialog einbezogen. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat Kontakte zu einer islamischen Gemeinschaft, die zur Nurcu-Sekte gehört und ein Gegner der bestehenden Staatsordnung in der Türkei ist.

Diese Politik könnte zu einer Polarisierung innerhalb der 2,2 Millionen Türken in Deutschland beitragen. Und das in einer Zeit, in der das deutsch-türkische Zusammenleben durch die hohe Arbeitslosigkeit ohnehin vor einer schweren Zerreißprobe steht. Schon deshalb sollten Politiker und Kirchen ihre Islam-Politik neu überdenken.
 

12 Şubat 1998

Die Türkei nabelt sich langsam von Europa ab

Stuttgarter Nachrichten, 12.02.1998

Nach dem Brüsseler Nein zum EU-Beitritt besinnt sich Ankara auf eigene Stärken / Von Ahmet Arpad

Stuttgart/Istanbul - Allen Unkenrufen aus dem europäischen Ausland zum Trotz, steht die Türkei politisch und wirtschaftlich auf festen Füßen.


Im Knotenpunkt der Weltgeschichte, im Schmelztiegel der Kulturen leben seit über 1000 Jahren verschiedene ethnische Völkergruppen friedlich zusammen. Die anatolische "Erleuchtung" hat sie immer zusammengehalten. Dieses gegenseitige Akzeptieren, leben und leben-lassen, die gemeinsame Sprache und Religion war und ist die wundersame "Knetmasse" der türkischen Nation.

Bundeskanzler Helmut Kohl hat vor kurzem, bewußt oder unbewußt, gesagt: "Die Türken sind von einer anderen Hochkultur!" Recht hat er. Schon im 20. Jahrhundert vor Christus herrschten in Kleinasien Hochkulturen. Und in Europa? Wer das wunderbare Museum für anatolische Kulturen in Ankara besichtigt, wird Kohl besser verstehen.

Anatolien ist wie ein richtig zusammengesetztes Puzzle. Es fällt seit Jahrtausenden nicht auseinander. Die Türken, die Anatolier, sind Kinder verschiedener Hochkulturen, die durch Kleinasien gezogen sind. Dieses Erbe, das in jedem anatolischen Menschen steckt, hält sie zusammen. Als Atatürk 1923 die Türkische Republik ausrief, hatte er daher eigentlich ein leichtes Spiel. Er mußte gar nicht erst aus den verschiedenen ethnischen Völkergruppen eine Nation bilden. Das waren sie ja schon seit Hunderten von Jahren. Seine Reformen wurden begeistert aufgenommen. Die Tür zu Europa hatten 100 Jahre vor ihm die Sultane geöffnet. Durch seine westlich orientierten Reformen machte er sie nur weiter auf. Es kam nicht von ungefähr, daß am 10. November 1997, dem 59. Todestag Atatürks, eine Million Menschen an seinem Grab standen.

Ein Fremder, der die Türkei bereist, erlebt überall Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Die Türen stehen ihm offen. Offenheit, Gelassenheit, Friedfertigkeit und Ruhe prägen die große Mehrheit der Türken. Daß die türkische Nation aus vielen ethnischen Völkergruppen besteht, merkt nicht einmal der Einheimische selbst. Sie ist gut zusammengewachsen. Türke zu sein ist für ihn selbstverständlich. Der Bauer aus Urfa versteht sich mit dem Hirten aus Kars genausogut wie der Kaufmann aus Van mit dem Lehrer aus Izmir. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen sind einfach zu beneiden. Der innere Friede hält die Menschen der Nation, das Volk zusammen.

Wer aber mit Hilfe seiner Fernbedienung durch die unzähligen deutschen TV-Kanäle zappt, täglich die Zeitungen durchblättert, erlebt zur Zeit ein total anderes Bild von der Türkei. Man erzählt, entscheidet, bestimmt, diskutiert, schreibt und kommentiert über das Land am Bosporus mit Unverständnis. Was war passiert? Die EU hatte im Dezember der Türkei die Tür zu Europa zugeschlagen, und die neue Regierung in Ankara reagierte in einer für Brüssel ungewohnten Weise. Es kamen zum erstenmal selbstbewußte, kritische Worte aus der türkischen Hauptstadt. Brüssel holte zum Gegenschlag aus. Die Politiker ließen sich die türkische Kritik nicht gefallen, und auch die Medien, die gerne nach dem Prinzip "nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten" arbeiten, schlugen zu. Die deutsch-türkischen Beziehungen erlebten in der Folge einen nie gekannten Tiefpunkt. Woher aber kommt auf einmal dieses große "Interesse" an einem Land, das man vor kurzem abgewiesen hat?

Und was man nicht alles hört und liest. An Ideen mangelt es den deutschen "Türkei-Experten" nicht: "Atatürk hat schwerwiegende Fehler gemacht. . . Ethnische Minderheiten akzeptieren. . . Diyarbakir ist die Hauptstadt Kurdistans. . . Mit den Islamisten und Kurden Kompromisse schließen... Im Osten herrscht Krieg. . . Der kurdische Aufstand ... In der Türkei wächst Haß und Polarisieriung. . . Die Türkei muß föderal gegliedert werden. . .

Auch die Grünen hatten natürlich eine "gute" Idee: "Die Türkei braucht eine Kantonalregierung nach Schweizer Modell . . ." Den größten Vogel aber schoß der Korrespondent einer großen süddeutschen Zeitung ab. Er prophezeite für 1998 das Ende der Türkischen Republik! Einmischen in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates, Pressefreiheit - hier wurden in den letzten Wochen die Grenzen mehrmals überschritten. Kompromisse mit den Islamisten? Mit eben denen, die die Demokratie für ihr Fernziel - den Gottesstaat Türkei - ausnutzen? Kaum wurde ihre Partei aus verfasssungsrechtlichen Gründen verboten, übertreffen sich "die Experten" gegenseitig an Kritik und fordern Kompromisse.

Warum das alles? Warum diese Überreaktion? "Eigentore" gibt es nicht nur beim Fußball. Wer alles hat Interesse daran, die Türkei zu einem "Problemfall" zu machen? Kann man einfach sagen: "Wo keine Probleme sind, macht man sich welche?" Die Türken - hie und da - werden allmählich den Verdacht nicht los, die unerwartet selbstbewußte Außenpolitik von Mesut Yilmaz und Bülent Ecevit schmeckt den deutschen Politikern nicht. Glaubt man in Bonn vielleicht, diese Türkei würde den Europäern bald aus den Händen gleiten?

Nationaler Zusammenhalt und uneingeschränkte Selbständigkeit sind Grundprinzipien des Kemalismus. Wer hat davor Angst? Neuerdings werden Intellektuelle, die diese tragenden Pfeiler der Nation und des Staates vor "Angreifern" schützen müssen, von manchen deutschen Kolumnisten einfach als "radikale Kemalisten" abgestempelt. Für sie gibt es also auf einmal "Kemalisten" und "radikale Kemalisten"! Interessant, sind doch für solch trennendes Gedankengut sonst die Anhänger islamischer Sekten zuständig.

Der Knotenpunkt der Kontinente ist auch nach 4000 Jahren "brisant". Die Länder der arabischen Halbinsel sind Garanten dafür, daß in den westlichen Industrieländern und Japan die Wirtschaft läuft. Die Staaten am Kaspischen Meer und die Turkrepubliken Zentralasiens sitzen auf reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen. Die Türkei pflegt seit einiger Zeit sehr intensive kulturelle und wirtschaftliche Kontakte zu diesen Ländern. Pipelines Richtung Europa werden auch durch Kleinasien laufen, noch mehr Öltanker durch die türkischen Meerengen den Westen erreichen. Das Land am Bosporus sitzt selber auf reichen Bodenschätzen und Erdöl, hat die größten Wasserquellen der gesamten Region. Hunderte Milliarden von US-Dollar sind und werden im Südosten für Staudämme und Stromerzeugung investiert.

Große, erfolgversprechende Projekte für ein hohes Wirtschaftswachstum in dieser Region hat Ankara kürzlich bekanntgegeben. Großindustrielle aus der West-Türkei investieren im Osten. Immer weniger arbeitsuchende Menschen wandern in andere Landesteile. Der karge Südosten wird ständig grüner.Die Bemühungen von Yilmaz und Ecevit, die Türkei in der Welt der neuen Ordnung in einer möglichst eigenständigen Rolle zu präsentieren, sind unübersehbar. Zuvor müssen allerdings noch einige "Steine" aus dem Weg geräumt werden. Das brüske Verhalten der EU-Länder hat die Türkei selbstbewußt gemacht. Das Land am Bosporus nabelt sich langsam ab. Auch wenn das manchem in Deutschland nicht schmeckt.